Vortrag / Rede Prüde Aussichten?! Moral, Sprache, Sexualität, Gesundheit und Recht
Fachtag aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der AIDS-Hilfe Frankfurt
In 30 Jahren Auseinandersetzung mit HIV und AIDS und seinen vielfältigen Metaphern und Zuschreibungen hat sich nicht nur der Umgang mit der Krankheit und die Behandelbarkeit der Infektion massiv verbessert, sondern ist auch das gesellschaftlich zugestandene Terrain für Liberalisierung und Toleranz gegenüber abweichenden Lebensweisen größer geworden. Die Belastbarkeit eben dieser Anerkennungs- und Wertschätzungsgefilde scheint jedoch brüchig. Neue homo- und fremdenfeindliche Tendenzen innerhalb der Gesellschaft bedienen sich wieder der alten Stereotype und nutzen eine scheinbar allgegenwärtige Verunsicherung in der Bevölkerung, um ihre menschenrechtsfeindlichen Vorstellungen durchzusetzen.
Auch stellt sich Frage, ob die Kämpfe für einen aufgeklärten Umgang mit dem Thema AIDS, mit einer Anerkennung von abweichenden Lebensweisen – beispielsweise auf dem Gebiet der Sexualität oder der Prostitution, im Umgang mit Drogen oder in der Frage der ethnischen Herkunft – nicht eigentlich das Ergebnis einer marktorientierten Liberalisierung der Gesellschaft sind, statt Erfolg selbststärkender, politischer Widerstandsprozesse oder einer gereiften gesamtgesellschaftlichen Einsicht.
Haben wir uns mit den neuen „erkämpften“ Freiräumen nicht genau die Normen eingehandelt, gegen die wir uns in den 1980er und 1990er Jahren noch so erfolgreich gewehrt haben?
Sind mit der Anerkennung beispielsweise der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht genau die moralischen Wertevorstellungen verbunden, die sich gegen Promiskuität, sexuelle Ausschweifungen und Hedonismus wenden und der Sexualität, ja dem Menschsein, zugunsten einer marktliberalen Individualität jegliche Form von subversivem oder nonkonformem Verhalten abgewöhnen wollen? Kann und darf man sich den Nützlichkeits- und Verwertbarkeitserwägungen unserer Marktdemokratie überhaupt entziehen? Ist Freiheit ein Menschen- oder bloß ein Marktrecht? Lauert hinter der angeblich so liberalen Politik nicht Prüderie und Heuchelei?
Porgramm
10 Uhr: Christian Setzepfandt: Begrüßung
10.15 Uhr: Abschnitt 1: Moral und Herrschaft
Jens Jessen: Emanzipation und Heuchelei
Julia Seeliger: Trollfeminismus
12.00 Uhr: Abschnitt 2: Sexualität und Recht
Dr. Dr. Stefan Nagel: Normierte Sexualität - wieviel Freiheit vertragen wir eigentlich?
Prof. Dr. Monika Frommel: Sexualität und Recht
15.00 Uhr: Abschnitt 3: Gesundheit und Politik
Nicholas Feustel: Safer Sex 3.0
Silke Klumb: Sauber, satt, trocken - noch Wünsche?
17.00 Uhr: Prof. Dr. Bazon Brock: Politisch korrekt verordnete Freiheit