Online Wieder Protestnote an die Herausgeber der FAZ

Erschienen
19.02.2024

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

Sogar die FAZ feiert Folterästhetik

Immer wieder muss man sich fragen, ob nicht auch deutscher Qualitätsjournalismus inzwischen unterwandert ist von dummdreister Inhumanität, dem Ungeist der Zeit, obwohl die Herren der Öffentlichkeit täglich betont derartige Missachtung der Menschlichkeit bei anderen beraunen. Den neuesten Höhepunkt ihrer Selbstwiderlegung bietet die Feuilleton-Redaktion mit dem Artikel „Das Selbst am Fleischerhaken“ (14.02.24) – eine feiernde Rezension der Feier des Selbstverständnisses von Künstler Flatz in der Münchner Pinakothek. Dass nicht nur der Autor Jörg Seewald Lust an Gewaltorgien zeigt, sondern auch die Redakteure, demonstriert die Headline der Feuilleton-Redaktion „Das Selbst am Fleischerhaken“, ein überdeutlicher Hinweis auf die Plötzensee-Folter an den Männern des 20. Juli 1944. Deren Selbste wurden zur sadistischen Hasslust Hitlers an Fleischerhaken gehängt und stranguliert. Immerhin, so der Artikel, wurde ja auch der bei Häppchen vor aller ausgestellter Grausamkeit gefeierte Künstler Flatz fast umgebracht. Fast – bei einer seiner Privatvermarktungen der Folterpraxis aller totalitären Herrscher. Diese brutale Dummheit hat ihn laut FAZ „aber auch unsterblich gemacht“: „Er ließ sich in der Synagoge von Tiflis kopfüber als lebender Glockenschwengel gegen zwei Stahlplatten schwingen, bis er bewusstlos wurde.“ Ein schöner Beitrag zur Bestätigung der privaten Fotoalben von KZ-Wächtern. Auf diesem Niveau boten sich in der Pinakothek weitere „Hingucker“ für tausend verzückte Münchner: Angekündigt war die Versteigerung der tätowierten Haut des Flatz, die aber in der Ausstellung ersetzt wurde durch eine Vorwegreplik, die an Fleischerhaken präsentiert wird. Der Ersteigerer war nur wenig brutaler als die KZ-Schergen, die bekanntlich aus Menschenhaut Lampenschirme fertigten. In einer weiteren Aktion ließ sich der marketinggeile Einfaltspinsel „von einer Hollywood-Maskenbildnerin“ mit Eigenblut „modellieren“, in triumphalem Gegensatz zum gemalten Christus oder den Ochsenblutorgien des Films. Das war eine Auftragsarbeit für die evangelische Kirche, „die auch prompt die Annahme verweigerte“. Aber Rom kannte keine Skrupel, wie das ja dort offenbar immer noch Gewohnheit ist.

Der Rezensent plappert dem Boss und dem Oberboss der Pinakothek München nach, wenn er mitteilt: „Flatz gibt der menschlichen Verletztheit Bilder und wirkt der Teilnahmslosigkeit entgegen.“ Teilnahmslosigkeit zeigen die Ausstellungsmacher und die Jubelrezensenten. Offenbar haben sie in ihren eigenen Medien die unzähligen Fotodokumentationen von Gefolterten, Ermordeten, zerschossenen Menschen und Objekten, die uns täglich präsentiert werden, nicht erkannt, sondern nur beglotzt.

Die Grenzen derartiger Kapitulation vor dem eigenen Sadismus überschreiten bis zur Lächerlichkeit Ausstellungsobjekte wie ein giftgrüner Porsche, den der unsterbliche Künstler, nachdem der Wagen sorgfältig ausgeräumt wurde, zerschoss und aus dem Inneren heraus das Umfeld elektrisch verstrahlen ließ. Das wird zur anmaßenden Kümmerlichkeit angesichts hunderter Wracks in den Straßen der Ostukraine oder Syriens. Das reicht nicht einmal zur zynischen Geste, denn dafür arbeitet der Künstler dann doch im Ganzen nur banal und epigonal: so wiederholte er auf dem eigenen Hinterhaupt den seit 100 Jahren weltweit dokumentierten Sternschnitt von Marcel Duchamp. Seit 75 Jahren basteln andere Minderkünstler am Programm „Destruction in Art“, aber deren Infamien bleiben doch weit hinter den Flatz’schen alle tatsächlichen Opfer entehrenden Künstlerlaunen zurück.

Flatz bläht pathetisch die Backen auf: „Ich war das schlechte Gewissen meiner Zeit, ich war der Brandbeschleuniger auf dem Weg zur Ewigkeit.“ Offenbar hatte die Zeit gar kein schlechtes Gewissen, sonst wären derartige Folterfeiern gar nicht möglich und als Brandbeschleuniger kommt er nicht an das Niveau von Religionsfanatikern heran, die glauben, wir müssten das ewige Reich Gottes herbeizwingen durch apokalyptischen Weltbrand.

Da hört man schon das Entlastungsgeraune der Flatz-Hymniker, es sei doch ein großer Unterschied, ob sich einer selbst und ohne Not foltere oder dazu von anderen missbraucht werde. Das wird nur eine schlecht gespielte Naivität, denn, wie der Artikel sagt, geht es ja hier um „Bilder der menschlichen Verletztheit“, also eben nicht um private Perversionen. So bleibt, wie stets, die Frage an die Herausgeber der FAZ: Wer trägt bei Ihnen die Verantwortung für derartigen Mangel an ästhetisch-moralischem Sinn?